Liebe Melanie,
jetzt musstest Du unglaublich lange auf meinen Brief warten. Das hatte verschiedene Gründe, aber dazu später mehr.
Erst einmal zu Deinem Brief. Ich muss Dir ein kleines bisschen widersprechen, oder nein! Das ist auch nicht richtig formuliert. Vielmehr habe ich eine andere Sicht der Dinge. Du schreibst, dass hier bei uns die Angst regiert und fragst wann unser Herzen klein geworden sind.. .
Wo soll ich anfangen? Ich versuche meine Gedanken zu dem Thema ein bisschen zu sortieren, es gibt dazu einfach so unheimlich viel zu sagen.
Gerührt von der vielen Menschlichkeit
Ich sehe und lese in letzter Zeit auch viel, dass mich zu Tränen rührt. Ich bin unglaublich gerührt von der vielen Menschlichkeit. Ich sehe freiwillige Helfer, die sich über soziale Netzwerke zusammentun und zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit sind Flüchtlingen an den Bahnhöfen in ganz Österreich eine schöne Ankunft zu bereiten. Durchsagen am Westbahnhof in Wien werden in Farsi, Arabisch und Englisch durchgeführt und Helfer stehen mit Kaffee bereit und organisieren Weiterfahrten.
Ich höre von Studenten, die mit Hilfe der Privatinitiative „Flüchtlinge Willlkommen“ http://www.fluechtlinge-willkommen.at/ in ihrer Wg Platz und Raum für Schutzbedürftige schaffen.
Als ich kürzlich einem Aufruf gefolgt bin, dass jeder der kann bitte ein kleines Hygienepaket mit Windeln und Wundschutzcreme für die angekommenen Babys zusammenstellt, hatte ich mit einer Frau Kontakt, die in Klagenfurt diese Pakete sammelt. Sie hat mir eine kurze Nachricht geschrieben wo ich das Paket abliefern kann und hat sich wahnsinnig gefreut dass es so unglaublich viele Leute gibt, die sie schon kontaktiert haben und ebenfalls schon die dringend benötigten Hygieneartikeln für Flüchtlinge und Babys besorgt haben.
Vielleicht sind das alles Kleinigkeiten. Und vielleicht hat man auch manchmal das Gefühl, dass die negativen Nachrichten überwiegen. Ich möchte aber an dieser Stelle festhalten dass ich sehr viele Herzen kennengelernt habe, die ganz schön weit sind!
So..3 Tage, 4 Backenzähne und mehrere Laptopabstürze später und zu dem Grund warum das alles hier so lange gedauert hat.
Melanie, ich fühle mich ein bisschen wie das Obst in unserem Garten. Also wie Fallobst. Und leicht angedepscht.
Es ist nicht so dass ich keine Themen hätte, über die ich schreiben könnte. Es ist eher so, dass mich unter anderem dein Brief zum grübeln bringt. Über was darf man überhaupt schreiben und über was nicht? Ich finde zum Beispiel deinen letzten Eintrag gar nicht so kontrovers. Vielleicht denke ich, dass in der Flüchtlingsthematik mein ganzes näheres Umfeld ohnehin meiner und unserer Meinung ist. Das ist wahrscheinlich ganz schön naiv gedacht (aus dem Grund kann ich mir natürlich auch den Wahlausgang in Oberösterreich nicht so ganz erklären…)
Also noch einmal: Über was darf ich schreiben und wen würde ich mit “pikanten” Themen vor den Kopf stoßen? Mein Brief an dich über meine deutsch -österreichische Liebe schlug kleine Wellen in meinem Umfeld, nicht immer positive. Nachrichten an meinen Mann schwankten zwischen „Nimm‘s nicht so schwer..“ und „Das hat Sie sich doch selbst ausgesucht..“
Das hat mich zum Nachdenken gebracht. War doch mein deutsches „Problem“ in seiner Gewichtigkeit wirklich zu vernachlässigen und nicht ganz ernst gemeint.
Wie banal darf ein Thema sein, oder wie ernst auf der anderen Seite?
Kann ich auch zum Thema Genderisierung von (Klein)Kindern schreiben?
Oder über meinen Versuch meinen Haushalt in Ordnung zu bringen.? Stichwort: Bei mir ist es jetzt ordentlich (..um es kurz zu halten: gescheitert!!)
Kann ich meine (Miss)Erfolge zum Thema arbeiten mit und um Kinder ausführen und darüber schreiben dass ich manchmal nicht weiß, ob es sich lohnt wenn ich um 21uhr30 meine Sachen packe, ins Auto steige und zu dir fahren um Wicki Wendejacken, PumpHös Pumphosen und High(k)leid Kleidchen zu sortieren weil ich unendlich müde bin?
Oder, dass ich mich gar nicht (mehr )so mutig und cool finde, wie früher? Früher…vor so sechs Jahren oder so… Was ist mit mir passiert?
Das klingt alles ganz schön verwirrt. Von den vielen Themen über die ich eigentlich schreiben will, ist also das hier am Ende übrig geblieben. Nicht gerade Grimme Online Award verdächtig!
Ich brauche Urlaub von mir selber. Wo ist der Besen auf den ich mich setzen kann. Kurz vor dem abheben könnte man hier noch einmal durchfegen!
Deine Franziska