Liebe Melanie,
ich weiß, eigentlich sollte dass hier eine Art Briefwechsel sein und Du bist an der Reihe. Aber ich muss aber hier an dieser Stelle was einschieben – einen Zwischeneintrag sozusagen. Der Brief ist auch nicht an Dich gerichtet sondern:
An die Frau, die bei uns um die Ecke wohnt!
Ich habe das dringende Bedürfnis Ihnen zu schreiben, weil ich nicht aufhören kann an unsere letzte Begegnung zu denken. Wir kennen uns nicht, aber Sie werden sich noch gut an mich und meine Kinder erinnern können. Ich war mit meinen beiden Kindern einkaufen. Eigentlich nur um die Ecke, eigentlich kein große Sache, aber wie das mit zwei kleinen Kindern so ist, dauert ein kleiner Einkauf ums Eck gerne einmal 2,5 Stunden mit Buggy und Laufrad und Rucksack und zwischendurch laufen und schieben und anhalten, in die falsche Richtung fahren, in die richtige gehen und so weiter…
Sie kennen das bestimmt, Sie haben ja auch Kinder, das haben Sie mir ja gesagt.
Ich möchte kurz die Situation Revue passieren lassen. Wir waren also einkaufen und der Hinweg dauerte schon etwas länger, der Rückweg noch länger und es wurde immer später und später und dann war schon fast Mittagszeit. Meine kleine Tochter Luise wollte nicht mehr laufen, sie wollte aber auch nicht so wirklich im Buggy sitzen. Sie fing also an zu weinen und sich ihre Mütze vom Kopf zu reißen. Auch mein Sohn war schon ein bisschen müde und hatte auch kein große Lust mehr aber wir waren nur mehr fünf Minuten von zu Hause entfernt, warum ich eigentlich den Rest meiner Nerven noch zusammenhielt, meine kleine Tochter abwechselnd trug und schob und meinen Sohn zum weiterfahren in die richtige Richtung zu motivieren versuchte. Wir waren also genau vor ihrem Haus als meine Tochter anfing zu weinen, weil ich sie versuchte die letzten Meter des Weges wieder in den Buggy zu setzen und ihr die Mütze wieder auszusetzen. Mein Sohn war schon ein paar Meter hinter mir stehen geblieben. Ich rief ihn aber er hörte nicht. Stattdessen fing er an mit seiner Faust auf den Wellblechzaun neben ihm zu klopfen. Es war der Wellblechzaun Ihres Hauses. Das machte ein durchaus lautes Geräusch worauf ich ihn noch lauter rief um ihn davon abzuhalten während ich versuchte meine Tochter zu beruhigen.
Dann haben sie das Fenster geöffnet. Ich war mir bewusst dass es wirklich laut war. Das war auch der Grund warum ich zu ihnen ans Fenster geeilt bin und mich bei Ihnen entschuldigt habe.
Sie sind ziemlich laut geworden. Lauter als das klopfen an ihrem Zaun war. Ich habe ihnen noch einmal gesagt dass es mir WAHNSINNIG leid tut.
Ich muss auf meine Kinder aufpassen. Ich bin eine unmögliche Person. Meine Kinder sind unmöglich. Wenn ich mit meinen Kindern rausgehe muss ich schauen, was sie tun.
Ein kurzer Gedankenfunke von mir enthielt in diesem Moment die Frage ob Sie wohl selbst Kinder haben. Ja die haben Sie, und Sie schauen auf ihre Kinder. Das weiß ich jetzt alles.
Ich bin eine unmögliche Frau. Meine Kinder hören nicht auf mich. Wie kann ich das nur zulassen. Es ist laut. Ich bin UNMÖGLICH!!
Sie wissen dass ich nach Hause geeilt bin. Und dass ich aus lauter Verzweiflung meine Kinder auch angeschrien habe. Aber Sie wissen nicht, dass mir noch auf der Straße die Tränen gekommen sind.
Vielleicht weil ich Angst habe, dass Sie Recht haben und ich eine unmögliche Person mit unmöglichen Kindern bin, auf die keiner schaut. Nicht einmal die eigene, unmögliche Mutter.
Ich habe mich danach noch einmal entschuldigt. Diesmal nicht bei Ihnen, sondern bei meinen Kindern weil ich sie angeschrien habe.
Was ich nicht so genau weiß ist, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Sie beschäftigt mich. Noch immer. Dabei ist das jetzt schon drei Tage her und ich muss immer noch weinen weil ich mich schlecht fühle. Und unfähig einen normalen Einkauf mit Hin- und Rückweg über die Runden zu bringen.
Es war mir ein großes Anliegen das noch einmal aufzuschreiben auch wenn ich weiß, dass Sie das nicht lesen werden.
Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann wieder und ich bin mir darüber im Klaren geworden was ich zu Ihnen sagen möchte.
Franziska